BauKarussell: Social Urban Mining für eine klimafreundliche, soziale Baubranche

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Baukarusell, WIDADO

Bauwerke stellen in Industrieländern den größten Lagerbestand an materiellen Ressourcen dar, die Bauwirtschaft beansprucht 50% aller Rohstoffe im globalen Stoffstrom und ist für 70% unseres Abfallaufkommens verantwortlich. Gleichzeitig bedingt Ressourcenabbau 50% der globalen Klimaemissionen – und der Verbrauch steigt weiter rapide an.

Auf politischer Ebene werden sich Entscheidungsträger*innen der Problematik und der Notwendigkeit von Lösungsansätzen immer stärker bewusst, und so sind etwa EU Green Deal und EU-Kreislaufwirtschaftspaket wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise. Doch geht vieles noch viel zu langsam, während es in der Praxis bereits funktionierende Modelle der Ressourcenschonung gibt.

Klimaschutz durch Urban Mining

„Urban Mining“ ist ein Prinzip, das der Problemstellung des enormen Ressourcenverbrauchs im Baubereich wirksam begegnet: Rohstoffe, Altstoffe und Abfallprodukte, die in Gebäuden im Sinne einer „Mine“ gelagert sind, werden am Ende ihrer Nutzungsdauer – etwa beim Abbruch eines Gebäudes – wiederverwendet (re-used) oder recycelt, anstatt sie zu entsorgen oder zu deponieren. Das Potential ist groß: Wenn Re-Use in der Baubranche konsequent umgesetzt wird, können auf globaler Ebene 9,5 Gigatonnen Bau- und Abbruchabfälle pro Jahr eingespart werden. Und auch auf regionaler Ebene können große Wirkungen erzielt werden, wie im Laufe dieses Beitrags deutlich werden wird.

Re-Use prioritär vor Recycling

Entsprechend der Europäischen Abfallhierarchie ist Wiederverwendung auch im Urban Mining prioritär vor Recycling einzustufen, da sie den Produkt- und Nutzwert erhält. Den Werterhalt auf hohem Niveau bezweckt auch das „Value Hill“-Modell. Recycling hingegen soll erst dann zum Einsatz kommen, wenn Produkte in der vorliegenden Form nicht wieder zum Einsatz gebracht werden können und der sinnvollste Weg ist, sie als Sekundärrohstoffe in den Kreislauf rückzuführen. Die vorhandenen Potentiale von Gebäuden voll auszuschöpfen, wird in der Baubranche allerdings noch viel zu wenig praktiziert, obwohl hier neben den ökologischen Benefits zudem erhebliches Jobpotential zu finden ist.

Social Urban Mining: sozialer und ökologischer Mehrwert

Der Grundstein für die Verknüpfung der zukunftsweisenden Umsetzung von Kreislaufwirtschaft im Gebäuderückbau mit der Beschäftigung und Qualifikation für am Arbeitsmarkt Benachteiligte wurde 2015 gesetzt, als sich BauKarussell als Projektkonsortium zusammenfand. BauKarussell hat sich seit der Gründung durch die Partner pulswerk GmbH, Romm ZT und RepaNet – Reparatur- und Re-Use-Netzwerk Österreich zum ersten österreichischen Anbieter für den verwertungsorientierten Rückbau mit besonderem Fokus auf Wiederverwendung (Re-Use) für großvolumige Objekte entwickelt und wurde für seinen Ansatz mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Umweltpreis der Stadt Wien 2018, dem Phönix Sonderpreis „Abfallvermeidung“ des ÖWAV 2018 und dem Raw Materials and Circular Societies Prize 2020 (3. Platz).

Das von BauKarussell entwickelte Konzept Social Urban Mining erlaubt Projektentwickler*innen und Bauherren die Umsetzung mehrfach nachhaltiger Aspekte in ihren Rückbauprojekten: Ressourceneffizienz wird erhöht, Kreislaufwirtschaft gefördert und gleichzeitig werden wichtige Arbeitsplätze für Benachteiligte geschaffen. Zudem werden Bauherren in der Einhaltung ihrer rechtlichen Verpflichtungen unterstützt.

Recycling-Baustoffverordnung definiert rechtlichen Rahmen

In Österreich schreibt die mit 1.1.2016 in Kraft getretene Recycling-Baustoffverordnung (des damaligen BMLFUW – Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) bei Bauwerken, bei denen mehr als 750 t Bau- und Abbruchabfälle (ausgenommen Aushubmaterial) anfallen, die verpflichtende Durchführung einer Schad- und Störstofferkundung (kurz: SSE; gemäß ÖNORM B 3151 „Rückbau von Bauwerken als Standardabbruchmethode“) durch eine rückbaukundige Person inklusive der Dokumentation und der Ermöglichung der Vermittlung von re-use-fähigen Bauteilen vor. Dabei gilt: Je hochwertiger die SSE, umso besser die Ausgangslage für Social Urban Mining Aktivitäten.

Social Urban Mining: Potential wird Realität

Ausgehend von einer Potentialanalyse werden gemeinsam mit Bauherren und Projektentwickler*innen Tätigkeitsfelder definiert. Um vorhandene Materialien in einem digitalen Modell des Gebäudes sichtbar und deren Mengen bestimmbar zu machen, setzt BauKarussell auch im Rückbau auf Building Information Modeling (BIM). Wenn es schließlich an die manuelle Arbeit geht, kommen die lokalen Partner von BauKarussell zum Zug.

Abb. Social Urban Mining Konzept, Grafik (c) Baukarussell

Kooperationen mit lokalen sozialwirtschaftlichen Partnerbetrieben

Das Ziel von BauKarussell, besonders jene zu fördern, die am Arbeitsmarkt benachteiligt sind, wird durch die Zusammenarbeit mit lokalen sozialwirtschaftlichen Partnerbetrieben verfolgt. Während für viele kommerzielle Unternehmen die arbeitsintensive, manuelle Demontage von Bauteilen nicht attraktiv genug ist, birgt sie großes Potential für sozialwirtschaftliche Unternehmen: Diese Betriebe stellen zeitlich befristete Transitarbeitsplätze zur Verfügung, schaffen einen niederschwelligen Zugang zu Arbeit für bestimmte Zielgruppen (z.B. langzeitbeschäftigungslose Personen, ältere Menschen, Migrant*innen) und haben als Hauptziel die Unterstützung dieser Personen beim Wiedereinstieg in den regulären Arbeitsmarkt. Sie arbeiten traditionell oft an der Schnittstelle zwischen Kreislaufwirtschaft und Sozialwirtschaft. Die Arbeiter*innen, die in BauKarussell-Projekten tätig werden, erlangen somit wertvolle Qualifizierung im Baubereich.

Abb. Parkett-Re-Use im Auftrag der BIG am MedUni Campus Mariannengasse,
Foto: Harald A. Jahn, www.viennaslide.com

In Wien sind die BauKarussell-Partner das Demontage- und Recycling-Zentrum (DRZ) des sozialökonomischen Betriebes der Wiener Volkshochschulen, die Caritas SÖB und Die KÜMMEREI (Trägerin: BFI Wien/Job-TransFair). Bei Projekten außerhalb Wiens wird mit sozialwirtschaftlichen Partnern vor Ort zusammengearbeitet, etwa Schindel&Holz und dem Verein ISSBA in Tirol.

Re-Use: Online-Katalog und Erfolgsstories

Um Re-Use zu stärken, braucht es Bewusstsein bei Planer*innen, die Bereitschaft, Re-Use-Bauteile einzusetzen sowie das Sichtbarmachen von verfügbaren Materialien. Um diesen Markt schrittweise aufzubauen, listet BauKarussell aktuell verfügbare re-use-fähige Bauteile und Materialien in einem Bauteilkatalog und kommuniziert in den einzelnen Projekten das aktuelle Angebot. Vermittelt wird sowohl an Firmen als auch an Privatpersonen.

Die bisherigen Re-Use-Erfolgsstories umfasst neben vielen weiteren Beispielen die Vermittlung von Jahrhundertwende-Rundbogenfenstern vom MedUni Campus Mariannengasse (Bauherr: Bundesimmobiliengesellschaft) an den Park Hrabalek in Wien, wo sie im Cafépavillon eingebaut wurden. Weiters die Wiederverwendung von Lifttüren-Paaren aus einem ehemaligen Fensterwerk in Linz (Bauherr: LINZ AG) als Eingangstüren einer Privatwohnung im Mühlviertel und die Vermittlung von 1.100 Tribünenstühlen an gewerbliche und private Abnehmer*innen, darunter das Museum für Angewandte Kunst Wien (MAK) und das Architekturzentrum Wien.

Social Urban Mining, Baukarussell  Jahrhundertwende-Rundbogenfenster
Abb. Jahrhundertwende-Rundbogenfenster von MedUni Campus Mariannengasse
Foto: Park Hrabalek
Abb. Lifttüren von Projekt LINZ AG als Wohnungstüren, Foto: heimart

Die Tribünenstühle stammten aus dem Ferry-Dusika-Stadion der Stadt Wien, wo BauKarussell zwischen Juni und September 2021 für die Stadt Wien Social Urban Mining zur Umsetzung brachte. Das Gebäude in Wien-Leopoldstadt wird der neuen Sport-Arena Wien mit mehreren multifunktionalen Hallen und Bereichen weichen, welche die Stadt Wien bis Ende 2023 errichtet. In 3.300 Stunden sozialwirtschaftlicher Arbeit bearbeiteten BauKarussell und seine Partner Die KÜMMEREI (Trägerin: BFI Wien/Job-TransFair) und Demontage- und Recycling-Zentrum (DRZ) des sozialökonomischen Betriebes der Wiener Volkshochschulen GmbH im Ferry-Dusika-Stadion 80.000 kg Material. Ein Viertel wurde wiederverwendet: neben den genannten Tribünenstühlen etwa auch 70 Steinblöcke (mit insgesamt 1.400 kg), die aus dem Außenbereich des Stadions stammen: sie werden von der Gemeinde Großenzersdorf zur Parkgestaltung eingesetzt.

Baukarussell - Ferry Dusika Stadion
Abb. BauKarussell Ferry-Dusika-Stadion, Foto: BauKarussell

Stoffliche Verwertung in der Praxis

Neben Re-Use holt BauKarussell auch Wertstoffe aus Gebäuden – Stoffe, die als Sekundärrohstoffe wieder in den Kreislauf rückgeführt werden. So werden etwa Buntmetalle, z.B. Kupfer, eingeschmolzen, legiert und an neue Anforderungen angepasst. Hier arbeitet BauKarussell mit Recyclingunternehmen zusammen – in Wien etwa Altmetalle Kranner. Daneben gilt es, definierte Schad- und Störstoffe, z.B. diverse Bodenbeläge, zu entfernen und für die sortenreine Entsorgung vorzubereiten.

BauKarussell Stöbergasse
Abb. Entfernung Bodenbelag VHS Stöbergasse, Foto: BauKarussell

Das Finanzierungsmodell: Sozialwirtschaftliche Arbeit trägt sich finanziell selbst

Erwähnenswert ist auch das Finanzierungsmodell: Mit den erzielten Erlösen aus Re-Use und stofflicher Verwertung wird die sozialwirtschaftliche Arbeit der Partnerbetriebe finanziert. Der verwertungsorientierte Rückbau trägt sich also finanziell selbst und stellt somit ein attraktives Angebot für Bauherren dar, welche die erzielten Minderkosten beim Abbruchunternehmen geltend machen können.

BauKarussell – die bisherige Gesamtbilanz

Zu den Auftraggebern des BauKarussells zählen etwa die BUWOG (Glaspalast, 2017), die Bundesimmobiliengesellschaft (MedUni Campus Mariannengasse, 2019-2020) und ihre Tochter ARE Austrian Real Estate (VILLAGE IM DRITTEN, 2020), die LINZ AG (2020), die Energie AG OÖ (2020), die SOZIALBAU AG (ehemalige VHS Stöbergasse, 2020) und die Stadt Wien (Ferry-Dusika-Stadion, 2021).

Die Gesamtbilanz von BauKarussell zeugt von dem unermüdlichen Einsatz des Teams und seiner Partner: Insgesamt wurden über 1.235.000 kg Material aus den Gebäuden geholt. Davon wurden 575.000 kg der direkten Wiederverwendung zugeführt, was einer Re-Use-Quote von über 46% entspricht. Dieses Ergebnis wurde mittels 25.000 sozialwirtschaftlichen Arbeitsstunden erzielt, bisher waren etwa 130 Personen in den Rückbauteams im Einsatz.

Kreislauffähiges Bauen braucht Bewusstseinsbildung

BauKarussell entwickelt das Konzept Social Urban Mining mit jedem Projekt weiter und arbeitet mittels Bewusstseinsarbeit und interdisziplinärem Austausch daran, dass es zu einer gängigen Praxis im Baubereich wird und in die Standardabläufe integriert wird. Dafür braucht es Offenheit seitens der Bauherren, Wege abseits des ressourcenintensiven Standards zu gehen und historisch gewachsene Arbeitsweisen neu auszurichten.

Abb. VHS Stöbergasse nach Entfernung Bodenbelag, Foto: Lea Fabiani

Um das Thema Kreislaufwirtschaft im Bau voranzubringen, braucht es Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen und eine neue Planungskultur, die den Wert vorhandener Ressourcen erkennt und diese so zum Einsatz bringt, dass sie am Ende der Nutzungsphase wieder gesichert werden können.

Einladung zur Kontaktaufnahme

Dieser Artikel dient dem Zweck, Möglichkeiten und Potentiale von Social Urban Mining aufzuzeigen. Wenn Sie sich von dem Konzept angesprochen fühlen und sich vernetzen oder mit BauKarussell zusammenarbeiten möchten, freut sich das Team sehr über Ihre Kontaktaufnahme unter office@baukarussell.at.

Autorin

MMag.a Irene Schanda, Kommunikation RepaNet/BauKarussell ist bei RepaNet – dem Re-Use- und Reparaturnetzwerk Österreich – sowie bei BauKarussell für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Voller Überzeugung engagiert sie sich für Bewusstseinsbildung rund um die Themen Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung, um den ökosozialen Wandel hin zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise und einem „Guten Leben für Alle“ voranzutreiben.

Links

Website von BauKarussell: www.baukarussell.at.

Zum BauKarussell-Bauteilkatalog: https://baukarussell.bauteillager.de

Website RepaNet: www.repanet.at

Global Resources Outlook 2019: resourcepanel.org (pdf-Dokument)

Circle Economy: Circularity Gap Report 2021: www.circle-economy.com

Recycling-Baustoffverordnung: www.ris.bka.gv.at

weiterer Artikel von RepaNet auf www.glasrecycling.at: Leben nach dem Wachstum

Foto-Credits

Peter Wagner (Profilfoto)

in der Reihenfolge des Vorkommens im Text:

Harald A. Jahn, www.viennaslide.com

Park Hrabalek

heimart

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Lea Fabiani



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