Das Produktdesign gilt vielen Experten als der vielleicht wichtigste Ansatzpunkt für ein besseres Recycling. Wissenschaftler der Technischen Universität Delft (Niederlande) stellen aber nun das Ökodesign infrage und argumentieren, dass ein Design für die Kreislaufwirtschaft einen anderen Ansatz erfordere.
eine Analyse des RECYCLING Magazins
Der Ansatz der niederländischen Wissenschaftler, der im Journal of Industrial Ecology veröffentlicht wurde, besteht vor allem darin, dass es in einer Kreislaufwirtschaft keinen Abfall mehr gebe, sondern das Material im Kreislauf gehalten wird. Der Ökodesign-Ansatz gehe hingegen von einer linearen Wirtschaft aus und sei „die systematische Integration von Umweltaspekten in das Produktdesign mit dem Ziel, die Umweltauswirkungen eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus zu verbessern“. Dies sei ein relativer Ansatz, der nur versuche, das Vorhandene zu optimieren, und nur darauf abziele, etwas weniger schlecht oder besser, aber nicht gut zu machen. Dem gegenüber stünde ein absoluter Ansatz, der auf einen Idealzustand – wie etwa die Kreislaufwirtschaft – abziele. Dieser Ansatz würde Designer nicht nur mehr fordern, sondern auch zu innovativeren Lösungen führen. Allerdings seien dazu Leitlinien, Strategien und Methoden notwendig. Allerdings räumen die Wissenschaftler auch ein, dass ein absoluter Ansatz bisher meistens als Utopie angesehen würde und ein tatsächliches Bild von einer echten Kreislaufwirtschaft nicht existiere.
Nicht mehr nur das Vorhandene optimieren
Eine wichtige Leitlinie des Ökodesigns sei die Abfallhierarchie auf Basis der europäischen Abfallrahmenrichtlinie. Die derzeitigen Definitionen der Begriffe der Abfallhierarchie wie Vermeidung, Wiederverwendung usw. gingen immer davon aus, dass ein Produkt irgendwann zwangsläufig zu Abfall wird. Dieser Bezug auf Abfall mache diese Begriffe aber bedeutungslos, wenn man Kreislaufwirtschaft als ein System versteht, in dem kein Abfall existiert. Daher sei es notwendig, das diesen Begriffen zugrundeliegende Konzept zu analysieren und entsprechend anzupassen.
Zunächst einmal schlagen die Wissenschaftler eine neue Definition von Produktlebensdauer vor. Bisher werde darunter die Zeit verstanden, in der ein Produkt funktionsfähig sei. Dies sei aber nicht zutreffend, da Produkte auch ausrangiert würden, obwohl sie noch funktionsfähig oder vielleicht nur vorübergehend funktionsunfähig seien. Vielmehr solle die Lebensdauer über Obsoleszenz definiert werden. Ein Produkt werde obsolet, wenn es für den Nutzer nicht mehr nützlich oder wichtig ist. Man könne dabei verschiedene Arten der Obsoleszenz unterscheiden, etwa ästhetisch, sozial, technologisch oder ökonomisch. Allerdings sei die Obsoleszenz eines Produktes auch umkehrbar. Daraus würden sich die folgenden Definitionen ergeben:
- Der Produktnutzenszyklus ist der Zeitraum zwischen der Fertigstellung (oder Wiederherstellung) eines Produktes und seiner Obsoleszenz.
- Die Produktlebensdauer beginnt ebenfalls mit der Fertigstellung und endet mit der Obsoleszenz, wenn das Produkt nicht weiter genutzt werden kann.
- Die Wiederverwertung soll danach als eine Tätigkeit verstanden werden, deren primäres Ziel in der Umkehrung der Obsoleszenz liegt.
- Daraus könne man folgern, dass ein Produkt zwar mehrere Nutzungszyklen, aber nur einen Lebenszyklus haben könne.
Obsoleszenz als Kriterium für Produktlebensdauer
Mit diesen Definitionen würde betont, dass die Dauer der Nutzungszyklen nicht ausschließlich von den Produkteigenschaften bestimmt wird, sondern von dem Wert, der ihr in einem größeren Kontext zugeschrieben wird. Um die Lebendsauer eines Produktes zu verlängern, kann man also die physikalischen Eigenschaften ändern, aber auch seine Bedeutung in einem größeren Kontext. Auch für obsolete Produkte, die auf eine Nutzung warten, haben die Wissenschaftler einen Begriff: Presource – eine Kombination aus Produkt und Ressource. Dabei werde nicht unterschieden zwischen Komponenten oder Material.
Dass es auch in einer Kreislaufwirtschaft dissipative Verluste gibt, schließen die Wissenschaftler nicht aus. Diese werden hier als Leakage bezeichnet: Es sind Produkte, Komponenten oder Materialien, die aus der Kreislaufwirtschaft in die Biosphäre entweichen und die derzeit nicht zurückgewonnen werden können. Mit der zeitlichen Einschränkung soll deutlich gemacht werden, dass mit künftigen Methoden und Technologien eine Rückgewinnung möglich sein kann. Dies wiederum führt zum Begriff des Wiedergewinnungshorizonts. Darunter soll die Grenze verstanden werden, ab welcher heute Produkte oder Materialien nicht mehr zurückgewonnen werden können. Ziel der Kreislaufwirtschaft sei demnach, so viele Ressourcen wie möglich im Kreislauf zu halten, sie so schnell und effizient wie möglich vom Zustand der Obsoleszenz in einen Zustand der Nutzung zu überführen, dabei Leakage weitgehend zu vermeiden und den Wiedergewinnungshorizont immer weiter zu verschieben.
Produkte und Material wieder einem Nutzen zuführen
Daher sollten die wichtigsten Ziele bei der Produktgestaltung darin liegen, die Obsoleszenz zu verhindern und sicherzustellen, dass Presources möglichst effektiv zurückgewonnen werden. Diese beiden Ziele können auf Produkt- und Komponentenebene erreicht werden (Design für Produktintegrität) oder auf der Materialebene (Design für Recycling). Beim Design für das Recycling gehe die Produktintegrität verloren. Der Designer müsse hier sicherstellen, dass das Material des Produkts so effizient wie möglich in den Kreislauf zurückgeführt wird. Den weiteren Schwerpunkt legen die Wissenschaftler auf das Design für Produktintegrität, da das Design für Recycling ein etabliertes Konzept sei. Das Ziel beim Design müsse sein, dass die Produkte der Obsoleszenz widerstehen oder sie zumindest aufschieben. Ein dritter Aspekt ist die Umkehrung der Obsoleszenz, bei dem Produkte für eine Rekontextualisierung, Reparatur, Refurbishing oder Remanufacturing gestaltet werden. Rekontextualisierung ist dabei die Verwendung eines obsoleten Produkts für einen anderen Zweck, als es ursprünglich vorgesehen war.
Die Wissenschaftler sehen ihre Typologie dabei als einen ersten Schritt, der noch nicht alle Aspekte berücksichtige. So müsse beispielsweise die mögliche Diskrepanz zwischen einer Verlängerung des Produktnutzungszyklus und möglichen Umweltauswirkungen thematisiert werden. So könnten unter bestimmten Umständen die negativen Umweltauswirkungen höher sein als der Nutzen durch das Produkt. Designer müssten sich daher der ökologischen Konsequenzen ihrer Designs bewusst sein. Ein weiterer Aspekt sei die Subjektivität, die der Obsoleszenz zugrunde liegt. Daher sei es für Designer schwierig, den besten Gestaltungsansatz zu definieren. Und schließlich müsse das Konzept auch noch in einen ökonomischen Kontext gesetzt werden. Es müssten Geschäftsmodelle gefunden werden, die eine wiederholte Wertschöpfung ermöglichen. Daraus wiederum würden sich neue Anforderungen an das Design ergeben, als heute für Wegwerfprodukte gelten.
Man mag den Ansatz an vielen Stellen zu akademisch finden und die Neudefinition von Begriffen spitzfindig. Der Beitrag macht aber mehr als deutlich, dass die Unterschiede zwischen linearer und Kreislaufwirtschaft doch fundamental sind. Mehr Recycling alleine ist keine Kreislaufwirtschaft, dazu gehört ein größerer Kontext. Und dazu werden unter Umständen auch neue Begriffe oder ein neues Verständnis alter Begriffe notwendig sein.
Autor
Michael Brunn ist Chefredakteur des RECYCLING Magazins.
Der Artikel erschien erstmals im RECYCLING magazin 15 | 2017
Michael Brunn per E-Mail: michael.brunn@recyclingmagazin.de