Entwicklung der Abfallwirtschaft
Müllsammlung wurde in Österreich in den Städten seit Beginn des 20. Jahrhunderts von den Stadtverwaltungen zur Verhinderung von Seuchen und Verschmutzung als städtischer Reinigungsdienst und Müllabfuhr eingerichtet. In den ländlichen Bereichen wurde sie am Beginn der 70er Jahre als Aufgabe zur geordneten Müllsammlung den Gemeinden übertragen (z.B. 1972 NÖ Müllabfuhrgesetz).
Mit dem Deponieengpass und den steigenden Altlastensanierungskosten wurden Anfang der 1990er Jahre Gemeindeverbände für Abfallentsorgung gegründet, das Bundesabfallwirtschaftsgesetz und das Altlastensanierungsgesetz erlassen. Mit diesen strukturellen Maßnahmen und einer Vielzahl von weiteren Gesetzen konnte das Abfallproblem gelöst und die Abfallwirtschaft in eine beginnende Recyclingwirtschaft übergeführt werden. Das Verbot der Ablagerung von unbehandelten Abfällen ab 2004 trug noch einiges dazu bei, dass die getrennte Sammlung von Altstoffen und ihre Verwertung billiger als die Behandlung in Verbrennungsanlagen oder Mechanisch-Biologischen Behandlungsanlagen wurde: 2014 konnten in Österreich rd.60% der 4,5 Mio Tonnen Siedlungsabfälle verwertet werden.
ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände als kommunale Interessensvertretung
Die ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände gründete sich 1995 als informeller Verbund von 8 Landesabfallwirtschaftsdachorganisationen, um die Verhandlungsposition der Abfallverbände gegenüber der ARA zu stärken, die zur Übernahme der Entsorgungsverpflichtungen der Hersteller von Verpackungen von der Wirtschaftskammer gegründet wurde. Die Verpackungen sind die volumensmäßig größte Stoffgruppe im Restmüll. Die Verpackungsverordnung 1993 verpflichtete die Hersteller und Inverkehrbringer von Verpackungen dazu, dass sie auch die Kosten der Entsorgung für die Verpackungen übernehmen müssen. Der ursprüngliche Gedanke, dass sich damit eine Verringerung der Verpackungsmenge ergibt, hat sich nur zum Teil erfüllt.
Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 wurde die Hoheit für die Gesetzgebung zu 80% an die Gesetzgebung in Brüssel übertragen, um europaweit eine einheitliche Vorgangsweise in allen Mitgliedsstaaten zu erreichen.
Das wesentliche Ziel der „Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“ in den römischen Verträgen war die Schaffung eines einheitlichen gemeinsamen Marktes mit Reisefreiheit und Niederlassungsfreiheit für die Bürger. Dabei wurden immer wieder neoliberale Ansätze in Politik umgesetzt, die oft im Gegensatz zum politischen Verständnis von verschiedenen Regierungen einzelner Mitgliedsstaaten in Europa standen.
Daseinsvorsorge in den Europäischen Verträgen
Das Konzept der „Daseinsvorsorge“ als Selbstverständnis von staatlichem Tun, insbesondere in Form von Dienstleistungen von allgemeiner Bedeutung in Städten, steht oft im Gegensatz zur neoliberalen Ideologie, dass der Markt alle Bereiche des Lebens mit dem „Gesetz der unsichtbaren Hand“ (Adam Smith) zum Besten der Allgemeinheit regeln wird.
Die derzeitige Diskussion darüber, was die zentralen Aufgaben des Staates oder von kommunalen Gemeinwesen sein sollen, wird auf vielen Ebenen geführt.
Die sogenannten öffentlichen Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Energieversorgung, Abwasserentsorgung, öffentlicher Personenverkehr, Straßen- und Bahninfrastruktur, Müllentsorgung werden mit folgendem Argument der Betreiber gegen eine Privatisierung verteidigt: Der öffentliche Betreiber muss für seine Dienstleistungen nur die Betriebskosten und allfällige Erneuerungsinvestitionen verdienen und keinen Gewinn an einen Eigentümer abführen, er bietet sie flächendeckend zu für alle Menschen leistbaren Preisen an.
Abfall ist keine Handelsware
In der Abfallwirtschaft kommt noch dazu, dass Abfall keine normale Handelsware ist, die jemand kaufen möchte, vielmehr ist für eine umweltgerechte Entsorgung vom Besitzer und Verursacher zu bezahlen. Viele Fälle haben in Österreich gezeigt, was passiert, wenn privaten Betreibern von Deponien erlaubt wird, Abfälle zu übernehmen (siehe Fischer- und Berger-Altlasten): Zunächst werden die Entsorgungsbeiträge von den Anlieferern kassiert. Müssen dann Sicherungs- oder Sanierungsmaßnahme gesetzt werden, weil Schadstoffe ins Grundwasser kommen, schicken die Eigentümer ihre GmbHs in Konkurs. Die Allgemeinheit hat die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu tragen, entweder dass – viele Menschen Umweltbeeinträchtigungen hinnehmen müssen (wie aktuell in Korneuburg 20.000 Menschen das Grundwasser nicht trinken können) – oder dass die Allgemeinheit die Kosten der Sanierung über öffentliche Mittel aufbringt. Dies wird in Österreich seit den 1990er Jahren über den Altlastensanierungsbeitrag geregelt, einem Betrag, der je Tonne behandelten Abfalls vom Verursacher eingehoben wird. Insgesamt wurden bisher rund 380 Altlasten und industrielle Altstandorte saniert. Die rund 4.500 Altlastenverdachtsflächen aufzuarbeiten wird noch 50 Jahre jährlich 70 Mio. € kosten, wie eine Studie des Umweltministeriums vor zwei Jahren zeigte.
Weil die öffentliche Hand immer die Ausfallshaftung für unkorrektes Entsorgen hat, muss die Entscheidungsgewalt darüber, was mit den Abfällen endgültig passiert, in der Hand von demokratisch gewählten politischen Funktionären (Bürgermeistern oder Verbandsobleuten) und ihren Fachleuten bleiben.
Die Europäische Union erkennt im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union von Lissabon vom 1.Dezember 2009 an (Art. 14 Satz 2 AEUV) die Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse an (wie die englische Umschreibung für den Begriff „Daseinsvorsorge“ lautet). Sie erlaubt damit auch den lokalen Gemeinwesen, diese Dienstleistungen selbst zu definieren und zu betreiben. Im Protokoll Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse hebt die Union die wichtige Rolle und den weiten Ermessensspielraum der nationalen, regionalen, und lokalen Behörden in der Frage hervor, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind.
Damit stellt sie die Entscheidungsautonomie der lokalen Behörden außerhalb des Zwangs zum Wettbewerb, einem der Grundsätze der Wirtschaftsunion. Die Tendenz innerhalb der Kommission ist jedoch immer wieder festzustellen, dass diese Autonomie durch den Wettbewerb von privaten Unternehmen untergraben werden soll.
Beispiel Vergabe und Konzessionsrichtlinie 2014
Ein gutes Beispiel dafür war der erste Entwurf der Vergaberichtlinie der Kommission im Jahr 2012, die die Daseinsvorsorge massiv untergraben hätte. So wäre es für eine Gemeinde, die Mitglied eines Gemeindeverbandes für Abfallwirtschaft ist, nicht mehr möglich gewesen, seine Grün- und Strauchschnitte durch den Verband behandeln zu lassen, ohne dies öffentlich auszuschreiben. Der eigene Gemeindeverband hätte sich an dieser Ausschreibung beteiligen können. Eine wesentliche Funktion der Gemeindeverbände – die Bündelung von Nachfragen – wäre damit völlig unterlaufen worden.
Erst die massiven Einsprüche im Rahmen der Verhandlungen des Kommissionsverschlages im Ministerrat, im Parlament, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Sozialbeirat führte dazu, dass die interkommunale Zusammenarbeit klar geregelt wurde, wie dies in der Richtlinie vom Feber 2014 erfolgte. Diese Bestimmungen müssen bis April 2016 in nationales Recht umgesetzt werden. Dazu wird gerade das österreichische Bundesvergabegesetz geändert.
„Wachhund“-Funktion der ARGE
Eine wichtige Aufgabe der ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände ist nun zu den bisherigen dazugekommen: Darauf zu achten, dass in der EU-Gesetzgebung keine Regelung zur Untergrabung der Daseinsvorsorge Platz greift. Ist eine solche Bestimmung einmal in einer EU-Richtlinie oder EU-Verordnung festgelegt, sind die österreichischen Bundesgesetzgeber gezwungen, dies in österreichisches Recht umzusetzen, die dann auf der Ebene der Gemeinden und Gemeindeverbände zu Schwierigkeiten führt.
Diese „Wachhund“-Funktion in der Abfallwirtschaft wird von der ARGE gemeinsam mit dem Städtebund in der eigenen Lobbyingorganisation für öffentliche Abfallwirtschaft in Brüssel gemeinsam mit 18 anderen Mitgliedsstaaten wahrgenommen. Dazu wurde 2009 Municipal Waste Europe gegründet.
Extreme Beispiele über die Liberalisierung der Abfallwirtschaft und ihre Konsequenzen konnten seit 1989 in Polen und in der Slowakei beobachtet werden.
Zurückgenommen Liberalisierung in Polen und der Slowakei
In Polen wurde im Zuge des Transformationsprozesses von der kommunistischen Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft bestimmt, dass ein Hausbesitzer einen Entsorgungsvertrag mit einem (öffentlichen oder privaten) Abfallentsorgungsunternehmen schließen muss. Dies führte zu einer Wild-West-Stimmung zwischen den nach Osten expandierenden mittelgroßen bis großen westeuropäischen Abfallwirtschaftsunternehmen: Remondis, Van Gansewinkel, ASA, AVE, Veolia, Suez, etc. Es trat vielfach die ökologisch bedenkliche Situation ein, dass eine Straße zur Müllabfuhr von 3 bis 4 Fahrzeugen befahren wurde. Am Montag die Hausnummern 2,6 und 9, am Mittwoch 1,3,5 und am Freitag 4, 7, 8 und 10. Das bedeutete die dreifachen Luftemissionen gegenüber einem Zustand, wenn nur ein Fahrzeug einmal pro Woche durchfährt.
Die ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbänden hat ihre Vereinsstatuten und Organisations-Know How den polnischen Kommunen schon 2003 zur gestellt. Erst im August 2011 ist es den polnischen Kommunen gelungen, das Landesweit geltende Abfallwirtschaftsgesetz im Parlament dahingehend zu ändern, dass die Kommune die Gebiete zur Ausschreibung festlegt und die Abholfrequenzen und die Art der Sammlung festlegt. Damit wurde der ökologische Missstand des unnötigen LKW-Verkehrs und damit verbundener Luftemissionen abgestellt.
Eine ähnliche Erfahrung wurde in der Slowakei gemacht, wo private Entsorger über ihren Einfluss im Parlament die Abfallwirtschaftsgesetze dahingehend geändert haben, dass die Kommunen nicht mehr diejenigen waren, die den Haushalten die Müllgebühren vorgeschrieben haben und sofern sie nicht bezahlt wurden per Exekution dagegen vorgegangen sind. Erst als in einzelnen Städten die privaten Entsorgungsbetriebe, die nun den Haushalten Rechnungen für die Abholung des Mülls gestellt haben und über drei Jahr hinweg nur 60% der Rechnungen bezahlt bekommen haben, haben sie das Gesetz wieder zurückgeändert, sodass die Kommunen wiederum die Müllgebühren vorschreiben und einheben. Sie bezahlen die privaten Sammelunternehmen, sofern sie es nicht selber mit eigenen Fahrzeugen und Personal machen.
Mengenkriterium für betriebliche Siedlungsabfälle im neuen Kreislaufwirtschaftspaket der Europäischen Kommission
Ein neuestes Beispiel für den Versuch der EU Kommission durch die Hintertüre Privatisierungen von Daseinsvorsorgen zu ermöglichen ist das neue Kreislaufwirtschaftspaket vom 2.12.2015. Darin steht der Vorschlag, die Definition von Siedlungsabfällen dahingehend zu ändern, dass Siedlungsabfälle auch Abfälle – nicht nur von Haushalten- sondern auch aus anderen Quellen sind, sofern sie nach Art Zusammensetzung und Mengen mit Haushalten vergleichbar sind.
Dies würde in Österreich die Beitragspflicht für hausmüllähnlichen betrieblichen Abfall unterlaufen und würde den in Österreich seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen öffentlicher und privater Abfallwirtschaft befeuern. Daher treten alle kommunalen Interessensorganisationen gegen dieses „Mengenkriterium“ in der Definition auf und versuchen über das Ministerium, Städtebund, Gemeindebund, EU-Parlamentsabgeordnete, den EU-Ausschuss im Bundesrat, die österreichischen Umweltsprecher im Nationalrat, den Ausschuss der Regionen dahin zu wirken, dass diese Definition so nicht kommt.
Bekenntnis der ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände
Der Bundesobmann Ing. Josef Moser bekräftigt die Position: „Die ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände wird auch in Zukunft alle EU-Gesetzesakte darauf hin überprüfen, ob daraus Einschränkungen der kommunale und selbstverwalteten Festlegung und Durchführung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erwachsen. Sie wird dies in der Öffentlichkeit aufzeigen und über die berufenen Entscheidungsgremien dahin wirken, dass solche Bestimmungen nicht Gesetz werden.“
Autor
Dr. Johann Mayr ist Abfallwirtschaftsexperte, Unternehmensberater und seit vielen Jahrzehnten in federführenden Rollen für Österreichs Abfallwirtschaft tätig, aktuell als Bundeskoordinator ARGE Österreichischer Abfallwirtschaftsverbände.
E-Mail: info@argeabfallverband.at
Weiterer Fachbeitrag von Dr. Johann Mayr in der wunderbaren Welt des Glasrecyclings: Kommunen und Austria Glas Recycling nachhaltige Partner bei der Altglassammlung