Oder nutzen wir die krisenhaften Erfahrungen im Gefolge der Pandemie als Impulse für den Wandel zur Kreislaufwirtschaft?
Der Blick auf das aktuelle Circular-Economy-Barometer 2020 von ARAplus könnte den Schluss zulassen, dass die Kreislaufwirtschaft zum Covid-19-Opfer geworden ist. Im Vergleich zu 2019 verspricht Kreislaufwirtschaft den Unternehmen geringere Chancen. Zwar geben insbesondere Unternehmen mit 50 und mehr Mitarbeiter/innen an, Investitionen in Circular Economy für die kommenden 3 Jahre zu planen. Das Circular-Economy-Paket der EU kümmert aber offenbar erst wenige. (ARAplus – Wie krisenfest ist Circular Economy unter Österreichs Unternehmen, (1))
Was eigentlich ist Circular Economy?
- Mehr Abfalltrennung und Recycling? Ja. Auch.
- Mehr Mehrwegsysteme (ReUSE)? Ja. Auch
- Weniger Ressourceneinsatz in der Produktion? Ja. Auch.
Wikipedia fasst auf Basis der Ausführungen von „A new sustainability paradigm?“ (In: Journal of Cleaner Production. Band 143, Februar 2017) wie folgt zusammen:
„Eine Kreislaufwirtschaft (englisch circular economy) ist ein regeneratives System, in dem Ressourceneinsatz und Abfallproduktion, Emissionen und Energieverschwendung durch das Verlangsamen, Verringern und Schließen von Energie- und Materialkreisläufen minimiert werden; dies kann durch langlebige Konstruktion, Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung, Remanufacturing, Refurbishing und Recycling erzielt werden. Das Recycling ist dabei zumeist das Mittel letzter Wahl.“ (2)
Als eine, die einen Gutteil ihres Berufslebens der Recyclingwirtschaft widmete, erfreut mich der Satz vom ‚Recycling als letzte Wahl‘ naturgemäß wenig. Doch es gilt, den Tatsachen ins Auge zu sehen – die Ressourcen werden knapp – und das Notwendige in Angriff zu nehmen – Ressourcen sparen, Wirtschaft dekarbonisieren (3).
Die Definition von Circular Economy zeigt jedenfalls: Es braucht viele Maßnahmen. Verschiedenartige Maßnahmen. Es braucht möglicherweise Brüche. Auch schmerzhafte. Kreative Zerstörung, Innovation, Disruption im Sinne der Kreislaufwirtschaft. (4)
Gehen wir zurück zu den von GfK und ARAplus befragten CEOs. Die Bosse der österreichischen Unternehmen halten es für wichtig, sich als nachhaltige Unternehmen zu positionieren. Darin sehen über 60 % der Befragten einen Wettbewerbsvorteil. Den Fokus im eigenen Unternehmen richten sie auf Abfallreduktion, ReUSE und Recycling. Das ist gut und richtig und wichtig.
Österreich – Recyclingnation seit über 70 Jahren
Manchen ist Österreich eine Sport-, manchen eine Kulturnation. Und wieder anderen eine Recyclingnation. Fakt ist: In Österreich blicken wir auf über 70 Jahre erfolgreiche Recyclingwirtschaft zurück. 1946 wurde unter der Patronanz des damaligen Handelsministeriums (jetzt BM für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) der Verein Österreichische Produktionsförderungsgesellschaft (jetzt Austria Recycling) gegründet, um die nach dem Krieg darniederliegende Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Primärrohstoffe waren Mangelware. Doch sie lagen in Form von Produkten (als Sekundärrohstoffe) vor. Ersten vereinzelten Sammelaktionen von gebrauchten Produkten folgte die Etablierung von österreichweiten Sammelsystemen, wie wir sie aus Österreich nicht mehr wegdenken können . Für Altpapier, Altglas, Altmetall et cetera et cetera. (5)
Die Entwicklungen mündeten in der Ausformulierung normativer Rahmen wie dem Abfallwirtschaftsgesetz, der Verpackungsverordnung und anderen, die die Redistribution von Materialien in sinnvolle Stoffströme lenken und diese durch nachhaltige Finanzierungsströme grundieren.
Wie wichtig eine verlässliche Abfallwirtschaft ist, sehen wir von Zeit zu Zeit in anderen Staaten (auch in Europe), wo Abfallberge nicht abtransportiert und zu Gesundheitsrisiken werden. Dass Abfallwirtschaft für Gesundheit und Hygiene in Stadt und Land unabdingbar ist, bewies die Einstufung als ‚systemrelevant‘ in der Phase des Lock-downs nahezu der gesamten Wirtschaft im Frühjahr des Jahres 2020. Die Abfallwirtschaft musste auch in Krisenzeiten funktionieren. Und sie funktionierte.
Vom linearen zum zirkulären Wirtschaftssystem
Mit dem Kreislaufwirtschaftspaket und dem Circular Economy Action Plan gehen wir in Europa den nächsten Schritt. Die Staaten der EU wollen eine Wirtschaftsform schaffen, die Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg bei deutlich reduziertem Ressourcenverbrauch ermöglicht. Eine Transformation vom linearen Wirtschaften zum zirkulären Wirtschaften. Zu einem regenerativen System. (6)
Die Covid-Pandemie hat uns spüren lassen, wir brüchig die globalen Lieferketten sind. In Europa mangelte es an Schutzmasken. Wir sorgten uns, ob Herzmedikamente in ausreichendem Umfang und rechtzeitig importiert werden können. Es war ein unangenehmes Aufwachen in einem der wohlhabendsten Länder der Erde. Wir können es als Anstoß für ein Umdenken, als Impuls für ein Wandeln begreifen. Als Anschub für mehr Zirkularität in unserer Wirtschaft. In Österreich liegen bereits fundierte Lösungen auf dem Tisch. (7)
Stell dir vor, es ist Kreislaufwirtschaft und keiner geht hin
Wenden wir uns noch einmal den Ergebnissen der Circular-Economy-Befragung zu und nehmen wir zur Kenntnis: Mit dem Kreislaufwirtschaftspaket setzen sich erst 2,5% der von GfK und ARAplus befragten Unternehmen auseinander. 2,7% nur geben an, das Vorhaben hätte Auswirkungen auf ihr Unternehmen. Diese Aussagen erstaunen umso mehr, als 85% derselben Gruppe angibt, der Fahrplan zur Umsetzung des EU-Circular-Economy-Package solle beschleunigt bzw. wie geplant eingehalten werden. Angesichts der hohen und international nachgefragten Kompetenz von österreichischen Unternehmen in Umwelttechnologie hätte man sich einen höheren Auseinandersetzungsgrad der Unternehmerinnen und Unternehmen mit Circular Economy erwarten können.
Was liegt der offensichtlichen kognitiven Dissonanz zwischen der Zustimmung zur Circular Economy, der Einschätzung von Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil und der Ignoranz gegenüber dem Circular-Economy-Paket zugrunde?
Gut ein Drittel der Befragten nennt die ‚zu komplexe Gesetzgebung‘ als Hindernis, knapp ein Viertel erwartet ‚hohe Kosten‘ und lässt sich davon abschrecken.
Circular Economy – wann, wenn nicht jetzt?
In Österreich sind Unternehmen von Weltformat zu Hause, bekannte Marken ebenso wie sogenannte hidden champions. Kraft und Innovationsbereitschaft von Österreichs Klein- und Mittelbetrieben sind Legende, KMUs gelten als Rückgrat von Österreichs Wirtschaft.
Am technologischen Know-How herrscht kein Mangel. An erfahrenen Beraterinnen und Beratern auch nicht. Sei es das Netzwerk rund um Austria Recycling, das seine in Österreich aufgebaute Expertise mittlerweile exportiert. Seien es die Kolleginnen und Kollegen von ARA+, die wohl wie kaum andere in Österreich die normativen Rahmen von AWG bis Circular-Economy-Package ins unternehmerisch Praktikable übersetzen und für ihre Kunden wirtschaftlich erfolgreich werden lassen. Von „Design from Recycling“ bis „Design for Recycling“.
Die Einschränkungen, die uns die Pandemie aufzwingt, erweisen sich als Treiber für Digitalisierung. Lassen wir die Krise auch zum Motor für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft werden. Österreich hat das Zeug dazu.
Autorin
Monika Piber wirkt seit 1993 als abfallwirtschaftliche Kommunikatorin. Zudem war sie rund 15 Jahre Mitglied des Umwelt- und Nachhaltigkeitsteam der Austria Glas Recycling und wirkte an Aufbau und Entwicklung des Nachhaltigkeitsmanagements mit. Viele der Nachhaltigkeitsberichte aus ihrer Feder sind mit dem ASRA (Austrian Sustainability Reporting Award) ausgezeichnet.
Quellen und links
(1) ARAplus – Wie krisenfest ist Circular Economy unter Österreichs Unternehmen, August 2020, GfK
(2) Kreislaufwirtschaft (wikipedia)
(3) BM für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort zur Industriestrategie der EU
(4) Schöpferische Zerstörung (wikipedia)
(6) Circular Economy action plan
(7) EU Kreislaufwirtschaftspaket – Herausforderungen und Lösungen
Austria Recycling: internationale Projekte
Recycling – Kernelement nachhaltigen Wirtschaftens