“Vorsicht ist besser als Nachsicht” als neue Maxime bei der Umsetzung des EU-Umweltrechts.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift UMWELTSCHUTZ DER WIRTSCHAFT 2/17.
Die EU-Kommission will mit dem neuen „Environmental Implementation Review (EIR)” die sehr uneinheitliche und zum Teil schwache Umsetzung des europäischen Umweltrechts verbessern.
Status Quo der Umsetzung des EU-Umweltrechts und dessen Folgen
Große Diskrepanzen. Innerhalb der Europäischen Union gibt es zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Umsetzung des Umweltrechts zum Teil sehr große Diskrepanzen. Die größten Probleme bzw Umsetzungslücken ortet die Europäische Kommission in den Politikbereichen Abfallwirtschaft, Naturschutz und Biodiversität, Luftqualität, Lärmschutz sowie ‘Wasserqualität und -bewirtschaftung.
Unterschiede verursachen Kosten.Generell gilt, dass eine mangelnde Umsetzung des Umweltrechts dessen Zielsetzungen – Aufrechterhalten intakter Ökosysteme und die Wahrung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger – stark konterkariert. Dies führt zu hohen geseltschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Kosten.
Wettbewerbsverzerrungen statt Level Playing Field. Aus Unternehmenssicht ist darüber hinaus insbesondere die ungleiche Umsetzung des Umwelt-Acquis zwischen den Mitgliedstaaten der Union problematisch. Die Einhaltung von Umweltvorgaben ist nämlich in aller Regel mit Aufwand verbunden. Daher fallen bei Untemehmen in Mitgliedstaaten, die bei der Umsetzung und dem Vollzug des Umweltrechts einen besonders strengen Maßstab anlegen, vergleichsweise höhere Kosten an, als in Mitgliedstaaten, die es mit dem Umweltrecht „nicht so genau nehmen”. Dies hat zweifelsfrei eine Verzerrung des Wettbewerbs innerhalb der Union zur Folge.
Glaubwürdigkeit am Prüfstand. Schließlich untergräbt die mangelhafte Umsetzung des Umweltrechts in (Teilen) der Union, die Glaubwürdigkeit der europäischen, nationalen und lokalen Behörden massiv. Die Europäische Kommission verliert zum Beispiel in internationalen Verhandlungen über diverse Umweltstandards an Durchschlagskraft, wenn innerhalb der Europäischen Union das bestehende Recht nicht umgesetzt, dh einschlägige Standards nicht vorgelebt werden.
Frühzeitige Kooperation statt Konfrontation
Ultimative Sanktion VVV löst oft Problem nicht. Das Regelinstrument, um europäischem Recht in allen Bereichen zum Durchbruch zu verhelfen, ist das Vertragsverletzungsverfahren (VVV), also der Gang der Europäischen Kommission vor den Europäischen Gerichtshof in Fällen, in denen Mitgliedstaaten europäisches Recht nicht oder nicht richtig (bzw nicht vollständig) umsetzen. Fakt ist allerdings, dass im Falle eines Vertragsverletzungsverfahrens samt Verurteilung durch den EuGH die mangelhafte Umsetzung des EU-Umweltrechts mit all ihren oben beschriebenen negativen Folgen bereits eingetreten ist. Außerdem besteht die Gefahr, dass trotz gerichtlicher Aufarbeitung die in vielen Fällen sektorübergreifende Wurzel des Umsetzungsdefizits nicht gezogen wurde.
EIR: EK sucht Kooperation mit MS. Aus diesen Gründen, sowie aufgrund der Tatsache, dass ein Rechtsstreit dem harmonischen Miteinander innerhalb der Union generell nicht guttut, begann die Kommission, einen neuen, kooperativeren Weg einzuschlagen. Im Mai 2016 wurde eine Überprüfung der Umsetzung des Umweltrechts (“Environmental Implementation Review”) in Form eines zweijährigen Analyse- und Dialogzyklus eingeleitet. Ziel dieses Ansatzes ist es, Mängel in der Umsetzung des Umweltrechts früh zu erkennen und im Zusammenwirken zwischen Europäischer Kommission (EIC) und betroffenem Mitgliedstaat (MS) Korrekturmaßnahmen zu planen und anzuwenden.
Länderbericht mit Vorschlägen für einzelne MS. Gemäß diesem Ansatz werden in einem ersten Schritt 28 länderpezifische Berichte erstellt, die aufzeigen sollen, in welchen Bereichen des Umweltrechts der jeweilige Mitgliedstaat mit Umsetzungsdefiziten konfrontiert ist. Zu den einzelnen Themen werden Vorschläge zur Problembehebung formuliert und auf Best-Practice Beispiele aus anderen Mitgliedstaaten verwiesen. Bei der Erstellung dieser alle zwei Jahre aktualisierten länderpezifischen Berichte stützt sich die Kommission auf ausführliche Umsetzungsberichte, die in Bezug auf bestimmte Umweltgesetze gesammelt bzw herausgegeben werden und auf die Umweltzustandsberichte der Europäischen Umweltagentur. Jeder länderspezifische Bericht bildet sodann die Grundlage für einen darauf aufbauenden Dialog zwischen der Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat, in dem erörtert wird, wie die festgestellte Lücke bei der Umsetzung des EU-Umweltrechts geschlossen werden kann.
EU-Gesamtlösungen auch möglich. Zugleich ermittelt die Europäische Kommission in einer Zusammenschau aller 28 länderspezifischen Berichte jene Sektoren, in denen alle oder zumindest eine Reihe von Mitgliedstaaten Probleme mit der Umsetzung haben. Diese Problemgebiete werden sodann in einer Diskussion zwischen den 28 Ministern im Umweltrat behandelt, um so gemeinsame Lösungsansätze zu besprechen bzw bewährte Praktiken auszutauschen.
Länderbericht zu Österreich: “Umweltschutzleistung gut, aber …”
Anfang Februar wurden die ersten länderspezifischen Berichte veröffentlicht. Die Umweltschutzleistung Österreichs wird generell betrachtet von der Kommission als gut eingestuft. Dies gilt insbesondere für die Wasserqualität und die Abfallbewirtschaftung. Im Detail werden folgende Bereiche besonders erwähnt:
- Die Kreislaufwirtschaft zählt zu einer Stärke Österreichs. Mit einer Recyclingquote von 58% findet man sich unter den EU-Mitgliedstaaten auf Rang drei. Es wird allerdings gleichzeitig darauf hingewiesen, dass sich Österreich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen könne, denn für die Erreichung des 2030-Ziels sind noch weitere Anstrengungen nötig. Insbesondere sei auf eine Reduktion des Siedlungsabfallaufkommens hinzuwirken, sowie die großen Mengen, welche der thermischen Verwertung zugeführt werden, zu reduzieren.
- Natura 2000-Ausweisung hapert. Am härtesten geht der Länderbericht mit Österreich beim Thema Naturschutz ins Gericht. Es seien erhebliche Anstrengungen Österreichs notwendig, um das Ausweisungsverfahren im Rahmen von Natura 2000 abzuschließen, sowie Erhaltungsziele festzulegen bzw die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen. Durch die Landwirtschaft und die Aufgabe von Flächen in hochalpinen Regionen verursachte Belastungen seien ein ernstes Problem für Natura-Gebiete. Um die noch ausständigen Prozesse zu beschleunigen wird Osterreich unter anderem empfohlen, die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen und die entsprechende Datenverfügbarkeit zu verbessern.
- Luftqualität hinter vereinbarten Zielen. Ebenfalls Anlass zur Besorgnis erkennt die Kommission im Zusammenhang mit der Luftqualität in Österreich. Im Jahr 2014 wurden unter anderem in Bezug auf den Grenzwert der jährlichen Durchschnittskonzentration von Stickoxid (NO2J und den Grenzwert der Tageskonzentration von Feinstaub (PM10) Überschreitungen festgestellt. Ferner wurden die Grenzwerte für Ozon in mehreren Luftqualitätsgebieten nicht eingehalten. Um dem entgegenzuwirken wird vorgeschlagen, verstärkt auf emissionsarme Landwirtschaftstechniken zu setzen, die transportbezogenen Emissionen – insbesondere im urbanen Raum – zu reduzieren sowie Maßnahmen im Zusammenhang mit der Energieerzeugung aus festen Brennstoffen zu setzen.
WKÖ-Einschätzung zum neuen EIR-Prozess
Kooperation zu begrüßen. Prinzipiell ist ein kooperativer Ansatz, der auf frühzeitige Problembehebung setzt, positiv zu bewerten. Gerade österreichische Unternehmen könnten in der Regel davon profitieren, wenn die Umsetzung des Umweltrechts innerhalb der Emopäischen Union angeglichen würde. Es wird im Detail zu prüfen sein, ob die im länderspezifischen Bericht für Österreich erstellten Schlussfolgerungen zutreffend sind.
Standortsicherheit auch “mitzunehmen”. Die Wirtschaftskammer Österreich wird so eng wie möglich an dem nun zwischen der Kommission und der Republik Österreich stattfindenden Dialogprozess mitwirken. In diesem Kontext ist stets darauf zu achten, mögliche Zielkonflikte aufzuzeigen sowie einen umfassenden Maßstab anzulegen, der andere zum Teil außerhalb des Umweltrechts angesiedelte Faktoren – Stichwörter Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Sicherung von Arbeitsplätzen – in die Diskussion einfließen lässt.
Autor
MMag. Franz Budl (WKÖ Brüssel), franz.brudl@eu.austria.be
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Umweltschutz der Wirtschaft” der WKO, Ausgabe 2/17