Im vergangenen Jahr startete FuturAbility das Projekt „Nachhaltigkeits-Index“: die Entwicklung einer Plattform, auf der Informationen zur Nachhaltigkeit aller Unternehmen bereitstehen. Jetzt ist ein wichtiger Meilenstein erreicht: Das Erfassen aktueller Bewertungskriterien.
Eine innovative Bewertungsplattform
Auf der geplanten Plattform sollen alle Unternehmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit bewertet werden, und alle Menschen sollen darauf kostenfrei zugreifen können. Dafür wird kein zusätzlicher Standard erfunden, sondern bestehende Bewertungssysteme werden zusammengeführt und vergleichbar gemacht. Eine weitere Besonderheit: Alle Stakeholder können mitwirken (siehe Blogbeitrag „Wie können wir Nachhaltigkeit bewerten?“, Juli 2021).
Der erste Schritt des Forschungsprojekts ist jetzt abgeschlossen. Die Analyse von über 50 Standards, Regelwerken, Rating-Systemen, Auszeichnungen, Strategiepapieren und rechtlichen Grundlagen liefert ein Bild über die heutigen Anforderungen an das Nachhaltigkeitsmanagement von Organisationen und damit wichtige Grundlagen für die Bewertung. Es beantwortet die erste und wichtigste Frage: „Was ist ein nachhaltiges Unternehmen?“
5 aktuelle Entwicklungen
Die Analyse der aktuellen Regelwerke zeigt, wie sich das Verständnis von CSR/Nachhaltigkeit in den letzten Jahren verändert hat. Am eindrucksvollsten ist das bei den CSR-Definitionen der EU-Kommission aus den Jahren 2001 und 2011 nachvollziehbar: Aus einem „freiwilligen Einbeziehen von Umwelt- und Gesellschafts-Aspekten“ wurde die „Verantwortlichkeit für die Auswirkungen eigener Entscheidungen auf Gesellschaft und Umwelt“. Die Ansprüche an CSR/Nachhaltigkeit stiegen kontinuierlich an – und tun das noch immer!
Insgesamt lassen sich 5 aktuelle Entwicklungen aus den untersuchten Standards und Regelwerken ableiten:
1. Zunehmende Integration
Waren noch um die Jahrtausendwende und in den Jahren danach unter den Begriffen „CSR“ und „Nachhaltigkeit“ isolierte Aktionen für Gesellschaft oder Umwelt möglich, nimmt in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Forderung nach einer immer stärkeren Integration zu: zunächst in das Kerngeschäft, dann in die Strategie und schließlich in den Unternehmenszweck. Heute wird das gesamte Geschäftsmodell hinterfragt. Es geht zunehmend um eine gesamthafte Ausrichtung von Organisationen am Konzept der Nachhaltigkeit.
2. Wirkungsorientierung
Seit über 10 Jahren steht der Begriff „Wirkung“ im Zentrum. Nachhaltigkeitsmanagement wurde zum Wirkungsmanagement. Dabei gewinnt auch der Begriff der Wesentlichkeit an Bedeutung: Unternehmen sollen ihre wesentlichen Wirkungen auf Gesellschaft und Umwelt erfassen und managen.
3. Fokus auf “Do Good”
Es lässt sich ein Trend zu “Do Good” beobachten. “Do not harm” ist eine notwendige Grundlage, aber nicht mehr ausreichend. ESG-Kriterien – vorgegebene Informationen und Kennzahlen zu Environment, Social, Governance – sind das „Pflichtprogramm“. Dann folgt die „Kür“: das Potenzial, wie eine Organisation positive Wirkung entfalten kann.
4. Stakeholder-Einbindung
Die Ansprüche an die Stakeholder-Einbindung steigen. Das betrifft das Reporting und die Wesentlichkeitsanalyse genauso wie die Impact-Messung und das laufende Nachhaltigkeitsmanagement.
5. Transparenz und Berichterstattung
Mit dem Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG) wurde bereits eine Berichtspflicht für große Unternehmen eingeführt. Jetzt wird sie ausgeweitet: mit EU-Taxonomy und Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).
Folgt man diesen aus den Regelwerken abgeleiteten Schwerpunkten, so lässt sich heute der Grad der Nachhaltigkeit von Unternehmen daran festmachen, inwieweit das Unternehmen diesen aufgezeigten Entwicklungen Folge geleistet hat.
Das ist jedoch eine Momentaufnahme, und diese Messlatte hat ein Ablaufdatum. Denn diese Entwicklungen waren und sind dynamisch und werden sich weiter verändern. In absehbarer Zeit werden andere, vielleicht ganz neue Anforderungen auf der Agenda stehen. Für ein dauerhaftes Bewertungssystem braucht es daher über die Beurteilung der jeweils aktuellen Anforderungen hinaus einen übergeordneten Rahmen. Dieser muss abbilden, inwieweit ein Unternehmen die jeweils aktuellen, jedoch sich verändernden (!) Anforderungen erfüllt.
Nachhaltigkeit von Unternehmen ist weniger ein Zustand als ein Prozess. Unternehmen sind nachhaltig, wenn sie kontinuierlichen Veränderungsbedarf betreffend ihre Nachhaltigkeit erkennen, anerkennen und umsetzen. Nachhaltigkeit von Unternehmen bedeutet somit ein laufendes Anpassen an sich verändernde Anforderungen und Ansprüche der Gesellschaft. Es verlangt nicht nur ein systematisches, sondern ein systemisches Ausrichten auf die Gesellschaft.
Bewertung der Nachhaltigkeit auf 3 Ebenen
Das Bewerten der Nachhaltigkeit als Prozess verlangt somit ein Bewerten aktueller Entwicklungen auf übergeordneten Ebenen. Dafür gibt es Konzepte aus Managementlehre und Ethik, zum Beispiel das St. Gallener Management-Modell mit der Unterscheidung in normatives, strategisches und operatives Management (Bleicher, 1991) oder die Formel der Verantwortung, bestehend aus Haltung, Reflexion und Handlung (Faber-Wiener, 2018). Folgt man der Logik dieser Modelle, geht es in unserem Fall darum, inwieweit ein Unternehmen in Bezug auf jeweils aktuelle Anforderungen an Nachhaltigkeit
- kompatible Wertehaltungen aufweist (Haltungsebene, normatives Management),
- notwendige eigene Veränderungen ableitet (Reflexion, strategisches Management),
- konsequente und konkrete Taten setzt (Handlung, operatives Management).
Dieser Ansatz ermöglicht eine stabilere und aussagekräftigere Bewertung als das Beurteilen einzelner aktueller Anforderungen. Zusätzlich vergrößert er das Spektrum der Indikatoren: Über veröffentlichte Berichte, Audits und Zertifikate hinaus können nun weitere Informationen in die Bewertung von „Haltung“, „Reflexion“ und „Handlung“ einfließen: Mitgliedschaften, einzelne Initiativen, Aussagen von Stakeholdern, Bewertungssysteme aus verwandten bzw. Teil-Bereichen (z.B. Arbeitsplatz, Umwelt, Transparenz, Innovation) u.v.m.
Haltung, Reflexion und Handlung eines Unternehmens sind auf vielfältige Art umsetz- und wahrnehmbar. Damit eröffnen sich neue innovative Wege für das Bewerten der Nachhaltigkeit: unterschiedliche Sichtweisen können erfasst und zusammengeführt werden, und ein wichtiges Ziel wird greifbar: das Bewerten aller Unternehmen, die bisher von keinem der etablierten Systeme erfasst wurden.
Open Innovation
Wie sich die dazu erforderlichen Informationen organisieren und in einen Bewertungsprozess einfügen lassen, damit beschäftigen wir uns seit mehreren Wochen in den Arbeitspaketen 2 (Bewertungsprozesse) und 3 (Bewertungsmodell) unseres Projekts. Alle Nachhaltigkeits-Interessierte sind eingeladen, daran mitzuwirken, diesen Index mitzugestalten und gemeinsam festzulegen, wie die Nachhaltigkeit von Unternehmen festgestellt und bewertet wird.
Aktuelle Informationen dazu gibt es auf https://www.mitwirken.at/. Möchten Sie sich am Diskurs beteiligen und den Nachhaltigkeits-Index mitgestalten? Registrieren Sie sich auf mitwirken.at! Ich freue mich aber auch über persönliches Feedback: leo@futurability.coop
Autor
Leo Hauska ist Vorstand der FuturAbility eG, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Hauska & Partner Group und Lehrbeauftragter an Universitäten und Fachhochschulen zu den Themen Stakeholder-, Nachhaltigkeits- und Wirkungsmanagement sowie Strategieentwicklung.
Über den Nachhaltigkeits-Index
Der Nachhaltigkeits-Index wird im Rahmen eines von der FFG geförderten und von vielen Vorreiter-Unternehmen unterstützten Open-Innovation-Projekts erarbeitet. Auch die Austria Glas Recycling ist mit dabei! Organisator des Projekts ist FuturAbility.
Über FuturAbility
FuturAbility eG ist eine 2019 gegründete Non-Profit-Organisation. Als wirkungsorientierte Genossenschaft ist sie dem Rückenwind-Förderungs- und Revisionsverband angegliedert. Unternehmenszweck ist das kollaborative Planen und Umsetzen von Projekten zur Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung.